Das Wort "Weistum" deutet schon darauf hin, dass es in einem Schriftstück dieser Art etwas zu "weisen" oder zu zeigen gibt. Die Weistümer zeigen uns die rechtlichen Verhältnisse, wie sie vor Jahrhunderten zwischen Herrschaft und Gemeinden und ihren Einwohnern unter sich bestanden haben. Sie weisen, wo der Herr eines Ortes ist und was die Einwohner diesem ihrem Herrn jährlich zu zahlen schuldig sind, der ihnen als Gegenleistung Schutz gewährt; sie weisen, welches Recht den Bewohnern auf Wald, Weide und Wasser zusteht; sie weisen die Strafen für Vergehen, kurz, sie regeln das bürgerliche, sittliche und religiöse Leben der Bauern auf den Dörfern.
In den Städten hat man an deren Stelle die Stadtrechte. Während aber vielfach Stadtrechte einander gleichen wie ein Ei dem anderen, sind die Weistümer der Dörfer doch von einer größeren Mannigfaltigkeit. In den Dörfern wurden die rechtlichen Verhältnisse - man könnte auch sagen das Ortsrecht - nicht plötzlich festgelegt, sondern sie bildeten sich allmählich. Erst später, nachdem sie schon lange in Übung waren, wurden die Rechtssätze fixiert und- aufgeschrieben. Deshalb tragen die Weistümer, hervorgegangen aus der Örtlichkeit, für die sie galten, so recht den Stempel der Bodenständigkeit an sich. So verschieden Grund und Boden, Herrschaft und Volk, Gebräuche und Sitten, so vielgestaltig sind auch diese alten bäuerlichen Gewohnheitsrechte des Mittelalters.
Zu bestimmten Zeiten wurden die Weistümer öffentlich vorgelesen, und zwar gewöhnlich ein- bis viermal zu den "ungebotenen Gerichtstagen" oder den "ungebotenen Dingtagen", zu denen ein jeder ungeboten, d.h. unaufgefordert, erscheinen musste. Durch die ständige Wiederholung konnten die einzelnen Bestimmungen nicht der Vergessenheit anheimfallen, sie konnten auch nicht so leicht zu des einen oder anderen Nachteil geändert werden. Erst in späterer Zeit, als die Fürsten und Herren immer mehr dem Absolutismus zustrebten, erlaubten sich diese, die Dorfordnungen zu "renovieren", zu erneuern, dass für die Bauern oft bloß noch Verpflichtung und keine Rechte mehr übrigbleiben.
Viele Veröffentlichungen weisen auf die hohe Bedeutung der Weistümer hin. In der Tat gibt es keine Schriften oder Dokumente, die so großen Einblick in das Kulturleben des späteren Mittelalters gewähren, als gerade die Weistümer. Für die Ortsgeschichte bilden sie die Ecksteine. Ihre Sprache hat mitunter einen eigenen Reiz, wenn auch der Satzbau den heutigen Anforderungen nicht entspricht. Es wurde aber die Schreibweise der Vorlage beibehalten.
Das alte Altriper Weistum ist nicht mehr aufzutreiben, sondern nur noch eine Renovation vom Jahre 1602, die 1660 in wunderschöner Schrift auf Pergament abkopiert wurde. Diese Kopie verwahrte das damalige Kreisarchiv in Speyer. Das Altriper Weistum ist während des Krieges zusammen mit vielen anderen alten Dokumenten nach Aschaffenburg ausgelagert worden und ist dort durch Brand oder Wasserschaden verloren gegangen. Im Juni 1993 wurde der Gemeindeverwaltung nun dieses Weistum von Altrip durch einen Privatmann angeboten. Nachdem das Landesarchiv in Speyer die Echtheit dieses alten Dokumentes bestätigt hat, ist von der Gemeinde Altrip der Ankauf getätigt worden.
Hier nun der Wortlaut:
Rechtspruch und Weistumb des Dorfs Altripp
welches mit Vorwissen und Gutachten kurfürstlicher Pfalz Amtleute zur Neustadt im Monat Junio Anno eintausendsechshundertundzwei renoviert worden.
Zum ersten weist das Gericht und Aeltisten zum Rechten, daß unser gnädigster Kurfürst und Herr Pfalzgraf als Obergerichts- und Grundherr über Dorf und Gemarken, über Wald, Wasser und Weid, Grund und Bodem, Stein und Stock, Hagen und Jagen allhier zu Altripp fallen hat die gewöhnliche Beeth (Bede war ursprünglich eine Abgabe, durch die man sich vom Kriegsdienst loskaufte, später, in der Zeit dieses Weistums, eine Art Vermögenssteuer) und Michaelsteuer. An der Grasmiet aber gibt einer so viel als der andere, der allhier ein Gemeinsmann ist.
Zum andern weisen sie von wegen unsers gnädigsten Herrn einem Schuldheißen fünf Schilling Heller (ein Schilling Heller hat 6 Pfennig), rechter Beeth und frei mit seinem eigenen Gut, einem Büttel vierzig Heller, der die Beeth einsamblet und überliefert an die Ort, da man ihn hinbescheidt, ohne unseres gnädigsten Herrens Schaden und der Gemein.
Zum dritten soll zu Pfingsten ein jeder Ausmärker vor dem Gericht erscheinen und soll sein Güter verstehen, soll bringen sein Schutz und Zins, von einem jeden Morgen zween Pfenning zu Schutz und zween Pfenning zu Zins. Darnach doppelt Beeth gegen einen Gemeinsmann. So er nicht erscheint, soll er dem Gericht schuldig sein fünf Schilling Heller.
Zum vierten. Wann zween uneins worden und sie ropfen einander, so ist's die Gemeind nicht schuldig anzubringen. Klaget aber einer vom andern, so ist der Schultheiß schuldig anzunehmen und sie an Ort und Ende bringen, dahin sie gehören. Ziehen sie aber Messer aus und die Spitzen kommen vor die Schneiden, soll es die Gemein anbringen, do ist unserm gnädigsten Herren die Frevel gefallen, stehet darnach zu unsers gnädigsten Herrn Amtleut, die mögen sie hoch oder nieder halten.
Zum fünften weist man von denen Atzung wegen (Recht des Dorfherrn und seiner Amtleute auf Speise und Trank im Falle eines Besuches im Orte) jetzund das Atzgeld. Vorzeiten aber hat man 2 Teil in Holz und in Hau deme, so die Atzung gehalten hat, auf daß er unsers gnädigsten Herrn Dienern die Stub wärmen, die Ställ streuen, zu Steuer geben, der dann nichts darvon rechnen solle. Item sie weisen die rechte Straßen, niemand über das Seine zu weisen und was einer mag erhalten, was ihm Schaden geschehen ist, mit der Treu und Eid soll ihme die Gemeind bezahlen.
Zum sechsten weist man von der Kirche wegen, daß die Herren des Domkapituls zu Speyer oder Präsenzmeister sollen die Kirch halten in gewöhnlichem Bau, Glocken und Sträng, Turm und Mauern, in Summa aller Kirchengebreisten, den Pfarrhof und ganzen Widdumb einem Pfarrern, der dem Volk genugsam ist zu einem Vorweiser. Es soll auch ein Pfarrherr, der bei uns wohnet, ohne unseres gnädigsten Herrn und der Gemeind Schaden bei uns wohnen, ein Glöckner so allezeit zu gebührlicher Zeit läuten und soll auch der Glöckner ein Gemeinsmann sein. Darnach soll sie, die gemelte Herrn von Speyer, 2 pfündiger Kerz uf den inwendig Altar, 2 halvpfündiger Kerzen auf den äußersten, die sollen brennen zu allen gebührlichen Zeiten, solches sollen sie halten ohne unsers gndst. Herrn und der Gemeinde Schaden.
Siebentes weist man von wegen des Fahrs, wer das unterhanden hat, so ein Gemeinsmann hinüberfährt, verdient er Lohn, ist er dem Fergen Lohn schuldig, verdient er keinen, ist er dem Fergen nichts schuldig, soll ihn führen wie ein Frembder.
Achtens weist man zur Rechten von der Au wegen, wer die unterhanden hat, der soll einen Schützen in der Gemeind halten, auf daß, wann man jemand darinnen ergreift, soll man's hierhertreiben hinter einem Schultheißen. Geschieht ein Schad, daß sie es nicht leiden mögen, soll ihm der Schultheiß Leut geben vom Gericht und der Gemeind; was dieselbe Schätzen, soll ihm bezahlt werden. Es hat auch ein jeder Gemeinsmann einen Ausländer darinnen zu pfänden und zu rügen, darumb hat eine Gemeind den Weidgang. Es stehet aber die Eynung (durch Einigung - gemeinsame Vereinbarung - bestimmte Buße) einem Gemeinsamann nicht höher, als wann er in des Dorfs Güter gebrochen hätte. Einen Ausmärker mögen sie halten, wie sie wollen.
Neuntens weist man von dem Speyerer Weg, daß der, so Güter da hat, soll einen Zaun darum halten mit 7 Edern (Eder oder Etter bedeutet geschlossener Raum), wo daselbig ober nicht geschieht, so gibt die Gemeind noch niemand nichst vor den Schaden, dieselbe Begüteten aber mögen einander halten, wie sie wollen.
Zehendes. Welcher hier bauen will, dem gibt man Eichenholz von Michaeli an bis zu Peter Stuhlfeier, umb Fastnacht Böllen und Rüsten bis zu St. Geörgtag. Es soll aber daselbig Holz verbauet sein und aufgeschlagen zu St. Johannes Täuferstag, wo aber solches nicht geschieht, hat er von jedem Stück 5 Schilling Pfenning verloren, zu St. Johannestag umb Weihnachten auch gemauret, gedecket und gekleibet sein, so es nit geschieht, hat er abermalen 5 Schilling Pfenning verloren und wo ihm 5 Schuch am Holz verbleibt, ist er der Gemeind von einem jeden Stück 5 Schilling Pfenning verfallen.
Eilftens soll keiner kein Holz, der in der Gemeind ist, so uf den Almen wächst, verkaufen; er soll es hauen, binden und alsdann so es ihme feil, soll er es einem Nachbarn im Dorf geben, soll es auch nicht haben, einem Ausländischen zu verkaufen, zu schenken, alle Meyterey zu vermeiden bei der Straf einer Gemeind 5 Gülden und unsers gnädigsten Herrn Poen (Strafe).
Zum zwölften soll das Gericht alle ungebotene Gerichtstage die Bäu in der Gemeind besehen, ob sie in Schwellen und Dach gehalten und so einer sträflich erfunden wird, soll er 5 Schilling verfallen sein.
Zum 13. und endlichen wird von altem üblichen Brauch her durch Rechtspruch gewiesen, da ein Ausmärker ein Gut kauft, so in Altripper Gemarken gelegen und kein Blutsfreund daselbst in 4 Wochen und 2 Tag lösen könnte, noch wollte, so hat die Gemeind oder ein Gemeinsmann alsdann nach solcher Zeit noch 14 Tage hernach Macht und Fug, die Losung wie recht ist zu Tun und daselbig Gut zu lösen.
Und dessen zu wahrer Urkund hat Junker Vicedomb und Herr Landschreiber ihr Amts-Sekret neben des Dorfs Altripp Insiegel hieran tun hängen. Gegeben und geschehen uf Jahr und Tag als obstehet.
L.S. Altripp.
L.S. Oberamt.Ende des Weistumbs zu Allttripp. Abkopiert den 19ten Juni 1660 auf Oberamt Befehl.