Wer den Landkreis kennenlernen will, der möge uns auf einer kleinen Reise durch seine Gemeinden folgen, die wir auf diesen Blättern antreten wollen. Der Weg ist nicht beschwerlich, denn die Straßen des Kreises ziehen sich nicht weit, und die Gemeinden liegen nahe beieinander. Aber wir hoffen, der Weg möge auch nicht ermüdend sein: denn man wird zwischen Altrip am Rheinstrom, der Stadt Mannheim gerade gegenüber, und Hochdorf oder Assenheim, wo es auf die Haardtberge zugeht, zwischen Ruchheim nahe Frankenthai und Iggelheim vor den Toren des kaiserlichen Speyer manches entdecken, das sich zu bemerken lohnt.
Wer von der Stadt Ludwigshafen rheinaufwärts dem alten Leinpfade folgt, auf dem früher die Schiffer ihre Kähne flußauf zogen, der muß sich heute erst durch das Labyrinth der Fabrikanlagen und Lagerschuppen am Luitpoldhafen durchfinden; er passiert die roten Mauerwände der Giulini'schen Fabrik, die aus der Ferne wie ein großes rätselhaftes Laboratorium aussieht, und kommt dann auf dem alten Pfade hinter der Rheinschleife nach Altrip, das zwischen seinen Auwäldern in ländlicher Abgeschiedenheit liegt.
Niemand kann es dem Dorfe ansehen, daß mit ihm eigentlich die Geschichte dieses ganzen Gebietes anfängt und daß in Altrip die römischen Kaiser selbst das Anfangskapitel dieser Geschichte geschrieben haben: „Altripp ist ein Welscher Name / von den Römern herkommen / die vor langen Zeiten diesen Flecken Altam ripam haben genennet", sagt Sebastian Münster in seiner „Kosmographie", mit der er im Jahre 1550 eine weitläufige „Beschreibung aller Länder" gegeben hat.
Der römische Kaiser Valentinian ist der Gründer des spätrömischen Altrip. Im Sommer des Jahres 369, als das Reich schon von den Sturmwolken der Völkerwanderung überschattet war, weilte er in Altrip, um mit eigener Hand als Architekt und Baumeister ein machtvolles Festungswerk zu errichten, an dem sich der Angriff der germanischen Völkerschaften brechen sollte. Zwei römische Schriftsteller berichten ausführlich über den gewagten Bau auf der alta ripa, dem hohen Ufer, gegenüber der damaligen Neckarmündung. „Ewigen Bestand wirst du haben", so preist der römische Senator Quintus Aurelius Symmachus das junge Altrip in einer feierlichen Rede vor dem Kaiser, „weil du von dem gegründet bist, der den Göttern am nächsten steht"
Diese wortgewaltige Verheißung hat sich bis heute bewahrheitet, wenn auch die Stürme der Völkerwanderungszeit Altrips Blüte jäh beendet haben. Nach dieser Welle der Zerstörung, der ersten, die über dieses Land gebraust ist, hat sich Altrip nie mehr zur alten Größe erhoben. Zwar macht in der späten Karolinger-Zeit um das Jahr 900 Altrips berühmtester Sohn Regino, Abt des Klosters Prüm in der Eifel, als Staatsmann, aber auch als einer der ersten deutschen Geschichtsschreiber, seinen Namen noch einmal bekannt. Aber das ist der Abgesang: durch das ganze Mittelalter ein armes Schiffer- und Fischerdorf liegt Altrip heute geruhsam den Stahlbetonklötzen des Mannheimer Industriegebietes gegenüber. Und die Altriper warten auf den Tag, an dem dieses große Industriegebiet auch über den Strom herübergreift. Es soll ihnen nach dem vergangenen goldenen Zeitalter der Klassik dann mit Fabrikhallen und Schornsteinen ein neues, nicht minder goldenes Jahrhundert anfangen.
(Quelle: "Die kleinen Stadtbücher, Band 6: Der Landkreis Ludwigshafen am Rhein" von Kurt Becker-Marx, Zeichnungen von Karl Graf, 1956)
Die Zeichnungen von Karl Graf aus diesem Bericht finden Sie vergrößert auch in unserern Fotoalben.