Im Jahr 1903 engagierte die Gemeinde Altrip erstmals einen praktischen Arzt für das damalige 1700-Seelendorf. In einem ärztlichen Fachblatt wurde ein überdurchschnittliches Einkommen ausgelobt. So sicherte die Gemeinde für die Behandlung der Mitglieder der „Gemeinde-Krankenversicherungs-Kasse Altrip“ ein jährliches Honorar von 850 bis 1000 Mark zu und über den örtlichen Medizinalverband weitere 1200 Mark.
Mit Privatpatienten und solchen aus den Fabrikkrankenkassen wäre ein „jährliches Einkommen von vorerst mindestens 5000 Mark“ zu erwarten, so die Gemeinde. Gelockt wurde auch mit dem Hinweis auf die „herrliche“ Lage am Rheinstrom und einer „direkten“ Bahnverbindung nach Mannheim und Schwetzingen. Obwohl die Bewerbungsfrist nur knapp zwei Wochen betrug, meldeten sich sogleich 14 junge Mediziner. Allerdings hatte keiner zuvor je Altrip gesehen. Und so kam es, dass der ledige 27-jährige Theodor Horn aus Königstein vom Gemeinderat, ohne Vorstellungsgespräch, einstimmig zum ersten Dorfarzt gewählt wurde.
In einer Mietwohnung richtete der junge Arzt seine Praxis ein, er erhielt als Krankenkassenarzt ab Januar 1903 monatlich 45,83 Mark in bar ausgezahlt und im Weihnachtsmonat vier Pfennig mehr. Theodor Horn war ziemlich frustriert, denn es gab weder fließendes Wasser noch elektrischen Strom im Ort. Da Altrip so nahe an den Großstädten liegt, hatte er diese technischen Errungenschaften einfach vorausgesetzt. Ferner musste er feststellen, dass es zwar eine „direkte“ Verbindung von Altrip nach Mannheim gab, aber nur von der gleichnamigen rechtsrheinischen Station aus – und die lag immerhin zwei Kilometer weit von seiner Praxis entfernt, dazwischen gab es oft Probleme mit dem Rheinfährbetrieb.
Privatpatienten hatte er entgegen der Auslobung so gut wie keine. In den vier Ziegeleien des Orts arbeiteten zudem sehr viele Italiener, die als Saisonkräfte im Frühjahr kamen, im Herbst wieder gingen und mit denen er sich nur schwer verständigen konnte. Die vielen Großschiffer aus Altrip ließen sich überall dort behandeln, wo sie gerade waren, und das konnte überall am Rheinstrom sein.
Zudem machten ihm die beiden örtlichen Bader, die sich bisher als Wundärzte betätigt hatten, das Leben schwer. Der eine, Ambros Pfeffermann, hatte gar noch zwei Lehrlinge, der andere, Georg Klauer, war nebenbei Leichenbestatter und witzelte oft: „Junge Ärzt' mache die Friedhöf' bucklig“, will heißen: durch deren Behandlung müssen viele Gräber ausgehoben (und aufgeworfen) werden.
Statt 5000 Mark im Jahr verdiente der Mediziner nur knapp die Hälfte. Trübe Aussichten für eine geplante Familiengründung. Dennoch fasste er sich ein Herz und heiratete 1904 in München die zwei Jahre jüngere Lina Panitz, die ihm in Altrip 1905 einen Sohn und 1908 eine Tochter gebar. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten sich weiter, zumal er auch Hauspersonal brauchte.
Allein sieben Kohle-Öfen waren zu bedienen. Die Arztfrau verdiente sich daher jahrelang ein paar Mark hinzu, indem sie in Mannheim „Modell“ stand. 1927 wurde Theodor Horn zum Sanitätsrat befördert und als Gründungsmitglied der „Freiwilligen Sanitätskolonne vom Roten Kreuz Altrip“ übernahm er im selben Jahr die Funktion eines Kolonnenarztes. Stolz war der Dorfarzt auf das Jugend-Rot-Kreuz und auf eine Sanitätshütte am Altriper Rheinstrandbad in den 30er Jahren.
Im Zweiten Weltkrieg musste er allein nach einem Luftangriff am 30. Dezember 1944 Totenscheine für 24 Personen ausstellen und 39 Verletzte in Krankenhäuser einweisen, von denen vier starben. Ausgerechnet am 24. Dezember 1945 teilte ihm der Bürgermeister mit, dass die französische Besatzungsmacht das Rote Kreuz ab 1. Januar 1946 verbieten werde. Der 70-Jährige war geknickt und „baute“ nun völlig auf seinen gleichnamigen Sohn, der 1947 die Praxis übernahm.
Der Senior selbst widmete sich nur noch dem Roten Kreuz, dessen Vorsitz er 1952 übernahm. 1968 starb der Dorfarzt 94-jährig. Er hatte zuvor noch die Genugtuung, dass die „Horns“ nach über einem halben Jahrhundert endlich in ein eigenes Heim einziehen konnten und auch sein Sohn noch Sanitätsrat wurde.