Mitte Februar 1929 hatte sich in Deutschland eine ungewöhnlich lange Kaltwetterperiode festgesetzt, wobei die Durchschnittstemperaturen in unserem Raum um minus 15 Grad erreichten. In Ludwigshafen kam es zu Wasserrohrbrüchen, viele Wasserleitungen froren auch ein, sodass die Bewohner mit Tanklastwagen versorgt werden mussten. Zum denkwürdigen Ereignis wurde diese Kälteperiode aber, weil zum bisher letzten Mal der Rhein zugefroren war.
Das Eis kam von Süden. Am 14. Februar, einem Donnerstag, erreichte eine geschlossene Eisdecke Ludwigshafen. Gefährlicher für die inzwischen eingestellte Schifffahrt und die Uferbauten war das in einem Abstand von einem Tag nachrückende Treibeis, das sich an den Brückenpfeilern aufstaute und allmählich auch die Rheinhäfen verbarrikadierte. In den Ludwigshafener Häfen lagen am 15. Februar 162 Schiffe fest.
Der zugefrorene Rhein wurde zum großen Spektakel. Tausende Schaulustige fanden sich am Ufer ein, die ersten Wagemutigen trauten sich trotz der eindringlichen Warnung der Polizei schon am Freitag auf das Eis. Dabei war die Eisdecke noch dünn, blieb weiter in Bewegung. Unvorsichtige brachen immer wieder ein. Der Rhein bot einen Anblick wie in der Arktis, bis nach Mainz erstreckte sich eine blanke Eiswüste.
Am folgenden Wochenende kam es endgültig zum großen Volksfest auf dem Rhein. Die Reichsbahn setzte im Raum Mainz und Mannheim/Ludwigshafen Sonderzüge ein, denn das Eiswunder wollten viele Menschen sehen. In Massen suchten sich die Ludwigshafener einen Weg über die rauhe Eisdecke nach Mannheim. Motorradfahrer kurvten durch die weiße Pracht, und sogar ein Auto wagte die gefährliche Fahrt über den zugefrorenen Fluss. In Ufernähe wurden Brezel- und Würstchenbuden aufgebaut, die umliegenden Gasthäuser hatten einen gewaltigen Umsatz an heißem Grog und Glühwein.
Auf dem Rhein ging es zu wie auf einem Jahrmarkt. Aber es bleibt eine bis heute immer wieder gerne erzählte Legende, dass sogar ein Karussell auf dem Eis aufgebaut wurde. Zwar gab es bei der Stadtverwaltung den Antrag zur Genehmigung für ein Karussell, aber der wurde strikt abgelehnt. Der Polizeibehörde war der riesige Andrang von Fußgängern längst zum Sicherheitsproblem geworden. Doch man hatte den Gedanken aufgegeben, das Eis abzusperren, weil die Massen dadurch kaum abzuhalten gewesen wären.
Am 17. Februar, es war ein schöner Wintersonntag mit mäßigen Frostgraden, setzten sich auch in Altrip wahre Volksscharen in Marsch, um zu Fuß über den Rhein zu gehen. Bei jeder Begegnung von Freunden und Bekannten an jenem Tag wurde eine Frage gestellt: „Warsch schunn am Rhoi?”
Tage zuvor hatten die Altriper in aller Eile ihre Gierfähre in den Rheinauer Hafen schleppen lassen, die eisernen Buchtnachen an Land gezogen und die hölzerne Zugangsbrücke abgebaut und sicher im Fährschuppen verstaut. Viele Fischernachen wurden in größerer Entfernung zum Ufer gelagert, und nahezu jeder Einwohner ließ sich einzeln oder in einer Gruppe auf den aufgetürmten Eisschollen fotografieren. Viele Ansichtskarten, eilends vom Altriper Fotoatelier Ludwig Schneider hergestellt, trugen den Vermerk: „Ich überschritt den zugefrorenen Rhein am 17. Februar 1929.”
Traditionsgemäß gab es durch die Küfer das berühmte Fass aufschlagen auf dem Rhein, etwa bei Mainz oder Speyer. Der Altriper Küfer Friedrich Pfaff bedauerte gar sehr, dass er keine Gehilfen fand, um auch bei Altrip ein Fass aufschlagen zu können. Durch den Wasserdampf, der sich beim Entzünden der Feuer auf dem Eis bildete, ließen sich die Fassdauben gut biegen und krümmen.
Ein anderer Brauch war, nur bei zugefrorenem Rhein „Bubeschenkel” zu backen, das war eine Art Paarweck. In Altrip bot Bäcker Knauber auf dem Rheineis zum Grog Bubeschenkel an. Bereits als der Fluss zuzugehen drohte, holten die Altriper Fischer eilends die sich in den tiefsten Stellen in dem stehenden Gewässer zurückgezogenen Fische mittels „Eisbruch” und in Säcken heraus. Dazu wurde einfach ein Loch in das Eis geschlagen und die Fische, die nach Sauerstoff lechzten, konnten am Ort ihres vermeintlichen Glücks problemlos geborgen werden.
Das eisige Vergnügen war kurz und blieb beschränkt auf das Wochenende. Montags stiegen die Temperaturen bis an den Nullpunkt. In der Höhe der Ludwigshafener Innenstadt brach das Eis auf einer Länge von drei Kilometern auf, und von da an war der Spaziergang auf dem Rhein nicht mehr möglich. Da sich die Treibeisschollen ineinander verkeilt hatten, musste in den Folgetagen mehrfach gesprengt werden, um den Abfluss zu ermöglichen – ein weiteres Spektakel, das in Ludwigshafen die Schaulustigen anzog.
Gebrochen haben damals das Eis auch holländische Eisbrecher, die sich von der Loreley aus in Richtung Oberlauf durchkämpften. Riesige Eismassen wurden beim Abgang das Ufer hochgeschoben, teilweise stockte und stellte sich das Eis wieder. An manchen Stellen gab der Strom den Blick aufs Wasser wieder frei, an anderer Stelle blieb weiterhin eine bizarre Eiswüste. Im nachfolgenden Tauwetter fürchtete man eine Hochwasserkatastrophe, sie blieb zum Glück aus.
Eine geschlossene Eisdecke auf dem Rhein hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Im 19. Jahrhundert ging der Fluss fast regelmäßig zu, so auch 1879 und 1895. Danach blieb das Naturereignis über 30 Jahre lang aus. Seit 1929 hat es etwas Vergleichbares nicht mehr gegeben – und dabei wird es wohl bleiben. Durch den industriellen Abfluss wird der Rhein heute auch im Winter so stark erwärmt, dass sich keine geschlossene Eisdecke mehr bilden kann.