Am 11. März 1933 haben SA-Männer das Banner der Nationalsozialisten auf dem Rathaus gehisst. Bei der Reichstagswahl wenige Tage zuvor hatte die NSDAP im Ort die meisten Stimmen bekommen. Gleichzeitig begann die Verfolgung politisch Andersdenkender.
Die politische Stimmung in Altrip war ziemlich aufgeheizt: Am 1. März 1933 organisierte der neue SPD-Vorsitzende Oswald Jacob eine Kundgebung. Tags darauf folgte eine Wahlveranstaltung der NSDAP im „Schwanen” - unter dem provozierenden Titel „Unsere Wahrheit, die Lügen der anderen”. Beide Versammlungen waren hervorragend besucht, doch noch mehr Zuspruch hatten die Sozialdemokraten mit der Revuegruppe „Rote Welle” und der wirkungsvollen Zeitreportage „Der große Verrat”.
Hitlers „Privatarmee”, die SA erreichte kurz vor der Reichstagswahl am 5. März auch Altrip. SA-Leute marschierten in militärischer Formation durch den Ort, an der Spitze ein Musikzug „mit klingendem Spiel”, wobei der Parteiredner Jakob Schoner ständig gegen die „roten Bonzen” schimpfte. Das ganze Dorf war auf den Ausgang der Wahlen gespannt.
Bei der letzten Wahl hatten in Altrip die Kommunisten die meisten Stimmen erhalten. Im Nachbarort Waldsee hingegen hatte mit großem Vorsprung das Zentrum und in Neuhofen die NSDAP die Nase vorn. Am Wahlabend gab es bei der Altriper KPD „lange Gesichter”, denn die NSDAP bekam die meisten Stimmen und die SPD schnitt am zweitbesten ab. Die Altriper NSDAP-Zelle, die noch Rheingönheim unterstand, verzeichnete nun einen Mitgliederboom.
Am 11. März hisste eine SA-Abteilung in Anwesenheit einer großen Menschenmenge das Hakenkreuzbanner und die schwarz-weiß-rote Fahne auf dem Rathaus. Der Altriper Amtswalter der Partei, Heinrich Beysel, der auch Schriftleiter der Tageszeitung „Altriper Lokalanzeiger” war, hielt eine flammende und vielbeklatschte Rede. Die Kundgebung endete mit dem Horst-Wessel-Lied. Im Anschluss daran wurde der ortsbekannte Kommunist Josef Mordstein nach der noch nicht einmal 14 Tage alten „Verordnung des Reichspräsidenten von Hindenburg zum Schutz von Volk und Staat” verhaftet und drei Monate lang in „Schutzhaft” genommen.
Zwei Tage nach dem Rathaussturm gab die Gemeindeverwaltung bekannt, dass ab sofort nur noch die bereits erwähnten Flaggen gehisst werden dürften. Auch auf der Fähre wehte nun das Hakenkreuzbanner. Beim „Freiwilligen Arbeitsdienst” wurde die Entlassung des Arbeitsdienstführers Karl Gropp (SPD) betrieben, weil er in der Vergangenheit angeblich SA- und NSDAP-Leute schikaniert habe. Gropp kam dem jedoch zuvor und trat freiwillig zurück. „Freiwillig” waren nach einer allgemeinen Aufforderung der Regierung auch die SPD-Gemeinderäte - Michael Kirsch, Karl Gropp und Eduard Müller - zurückzutreten.
Die SPD zog auch ihren aussichtslos gewordenen Antrag auf Errichtung eines Friedrich-Ebert-Denkmals zurück, dessen Bau noch am 11. Februar 1933, immerhin nach der „Machtergreifung” Hitlers, der Gemeinderat bei nur einer Gegenstimme beschlossen hatte.
Mit einer großen Werbekampagne wurden nun Jugendliche zum Eintritt in die Hitler-Jugend (HJ) ermuntert. Dafür fand ein HJ-Aufmarsch vom Messplatz bis zum Altriper Strandbad statt. Geworben wurde mit der Aussicht auf Fahrten, Zeltlager, Sport, Fanfarenzug und Theatergruppen. Bei einem Altriper Kramerladen, der seine Waren von einem jüdischen Großhändler in Mannheim bezog, postierten sich beidseits des Ladeneingangs zwei SA-Männer mit dem Schild „Die Juden sind unser Untergang”.
Zehn Arbeitervereine wurden alsbald verboten. Ihr Vermögen - darunter die Halle der „Freien Turner” - wurde eingezogen. Andere Vereine wurden „gleichgeschaltet”, also mit Nationalsozialisten besetzt. Binnen weniger Tage hatte sich das dörfliche Leben völlig gewandelt. Ein Altriper Propagandist brachte es auf den Punkt, als er ausrief: „Die Altriper Straßen sind nun braun.”
(W. Schneider | 2008)