Land unter

Um den geplante Polder Altrip/Neuhofen/Waldsee wird seit mehr als zwei Jahrzehnten diskutiert, gestritten und geklagt. Im Mittelpunkt steht auch das grundwasserhydraulische Gutachten. Das wirft auch die Frage von Gutachten in Sachen Grund-, Druck- und Hochwasser ganz allgemein auf. Ein Blick in Altrips Geschichte ist hier interessant.

Hochwasser in der Altriper Rheinstraße (1910)Hochwasser in der Altriper Rheinstraße (1910)Nach dem Extremhochwasser 1784 und vier weiteren Totalüberschwemmungen Anfang des 19. Jahrhunderts mussten die Altriper noch ein „200-jährliches Hochwasser” (wie es statistisch ein Mal alle 200 Jahre vorkommt) erleiden, ehe sich etwas tat: Altrip erhielt einen Deich und wurde damit bei Hochwasser zur Insel. Die Rheinregulierung Tullas wurde den Altripern besonders schmackhaft gemacht. Der Gemeinde wurde versichert, dass es fortan keine Überschwemmungen mehr geben werde. Doch im Dezember 1882 stieg das Hochwasser auf über neun Meter. Die Deiche wurden überflutet und Altrip meldete wieder „Land unter!” Schlimmer noch: Nach den Versprechungen hatten die Altriper ihren westlichen Deich aufgegeben und dort Ziegeleien angesiedelt. Dies rächte sich 1910, als bei Otterstadt ein Deich brach und die „Altriper Badewanne” voll lief.

1927 wandte sich die Gemeinde mit einem „Hilferuf” an die Öffentlichkeit, der darin gipfelte, dass künftigen Generationen gezeigt werden solle, „wie hart sich die Gemeinde gegen ihren Untergang wehrte, aber bei den Behörden keine Unterstützung fand”. Damals wehrte sich die Gemeinde gegen ständig neue Baggerseen durch die Ziegeleien. Auf Drängen des Bezirksamtes wurde 1934 in Altrip eine „Genossenschaft zur Entwässerung der Rheinniederung in den Steuergemeinden Altrip, Neuhofen und Rheingönheim” gegründet. Ziel war, ein Gelände von 320 Hektar dauerhaft zu entwässern. Dazu wurde mithilfe eines Schöpfwerks der Wasserspiegel des Neuhofener Altrheins um 1,18 Meter abgesenkt und ein weit verzweigtes Grabensystem angelegt. Euphorisch wurde verkündet, dass damit für alle Zeiten die Überflutung der Gemarkung abgewehrt sei. Doch heute ist die Gemarkung immer wieder stark vernässt.

Durch Kriegsschäden am Deich drohte der Gemeinde im Januar 1945 wieder einer Katastrophe, die gerade noch abgewendet werden konnte. Im Januar 1955 wäre das Hochwasser fast über die Deiche gelaufen. Nun bestand Handlungsdruck. Schon im Juli 1958 wurde die Hochwassertrasse nach Rheingönheim verstärkt und 1962 auch der Rheinhauptdeich. 80. 000 Kubikmeter Erde wurden damals angekarrt und der Deich um 50 Zentimeter erhöht.

Anfang der 60er Jahre erschloss die Gemeinde das Baugebiet „Blechlache”. Das Gelände war früher oft voll Druckwasser und Kinder paddelten auf dem so entstandenen See. Alle Bauplätze waren im Gemeindebesitz und wurden im Erbbaurecht ausschließlich an Altriper vergeben. Den Häuslebauern wurde versichert, dass durch den Bau der Staustufen am Oberrhein der Grundwasserspiegel ständig falle und daher nicht mit nassen Kellern zu rechnen sei. Wer diesen Versprechungen nicht traute und mit der Kellersohle „höher hinaus ging”, wurde mit einem Bußgeld bestraft. Seit Ende der 1970er Jahre ist ausgerechnet dieses Wohngebiet am meisten vernässt. Nun wird den Betroffenen erklärt, dass gerade die Staustufen am Oberrhein daran schuld seien.

1955 löste ein moderneres Schöpfwerk am Kiefweiher die alte Anlage aus dem Jahr 1935 ab. Für die Unterhaltung hatten Landwirte eine Umlage zu zahlen. Schon bald schimpften sie: „Wir brauchen keine Entwässerung, sondern eine Bewässerung!” Und so wurde das Schöpfwerk 1972 stillgelegt. Doch gerade seit dem Ende des Rheinstufenausbaus nach 1977 steht die Gemarkung immer wieder teilweise unter Wasser und bräuchte ganz dringend die Pumpleistung des Werks.

Nach dem März-Hochwasser von 1988 stieg der Druck auf die Landesregierung. 1989 beschloss der Mainzer Landtag eine Deicherhöhung auf das rechtsrheinische Niveau. Doch 1991, nach dem Regierungswechsel in Mainz, verkündete die neue Umweltministerin, dass erst nach dem Bau der Rückhalteräume (Polder) am Oberrhein die Deiche angeglichen würden.

Als 1994 der Plan eines Polders vor der Altriper Haustür bekannt wurde, von dem die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden erst aus der Tagespresse erfuhren, war die Empörung groß. Die besondere Situation Altrips, das ausschließlich im Tiefgestade liegt, einte damals Bürgermeister und Gemeinderäte im Ruf: „So bitte nicht!”

Geplant war ein Polder mit einem Volumen von rund 265 Hektar, der statistisch gesehen „alle 30 bis 40 Jahre” einmal geflutet werden sollte. Nunmehr soll der gesamte Polder rund 330 Hektar umfassen. Neu ist, dass praktisch jedes Jahr ein Areal von 45 Hektar überflutet werden könnte und zudem ein acht Hektar großer Altripsee mit einer Tiefe von zwölf Metern vorgesehen ist. Allein diese beiden Wasserflächen würde eine so große Fläche wie der Neuhofener Altrhein einnehmen und ausschließlich auf Altriper Gemarkung liegen. Wer sollte da den Altripern ein gesundes Misstrauen verdenken?

(Wolfgang Schneider | 2001)
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