Abgeschoben - Heimatrecht sorgt für Ausweisungen

Wenn wir heute das Wort „Ausweisung” hören, denken wir in erster Linie an die Ausländer- und Asylbewerberdebatte. Doch das war nicht immer so. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts kam es oft vor, dass nach dem Tod des Ernährers die Familie mittellos dastand und zu ihrer unangenehmen Überraschung feststellen musste, dass der Mann irgendwo heimatberechtigt war und nun die Familie in diese ihr völlig fremde Heimat des verstorbenen Mannes abgeschoben wurde. Dabei waren die Betroffenen alle Deutsche. Das „Heimatrecht” wurde damals im Geburtsort erworben und bei einem Umzug, etwa wegen einer Heirat, konnte es unter bestimmten Voraussetzungen am neuen Wohnort verliehen werden.

Das Heimat-, und somit das Bürgerrecht mit aktivem und passivem Wahlrecht, konnten heimatlose Angehörige des bayerischen Staates nach vierjährigem ununterbrochenem Aufenthalt in derselben Gemeinde „im Alter der Volljährigkeit, bei Entrichtung ihrer Staats- und Gemeindesteuern und ohne Inanspruchnahme der Armenkasse” beantragen.

Eine Alternative gab es noch, nämlich für Dienstboten, Gewerbegehilfen, Fabrik- und Lohnarbeiter, die sich sieben Jahre ununterbrochen im selben Ort ernährt und keine Freiheitsstrafe verbüßt hatten – bayerische Staatsangehörigkeit allerdings vorausgesetzt. Und weil dem so war, durften lange Jahre hinweg die Mitbegründer der Altriper SPD, Valentin von Berg und Max Hellert, auf keiner Kandidatenliste zum Gemeinderat erscheinen. Der erste Altriper Dorfarzt, Theodor Horn, der aus Königsstein im „Preußischen” kam, erhielt erst 1914, und somit elf Jahre nach seiner Niederlassung, die Aufnahmeurkunde in den bayerischen Staatsverband und gar erst 1919 auf Antrag das Heimat- und Wahlrecht in Altrip.

Auch anderen hoch geachteten Einwohnern, etwa dem Dorfschmied Wilhelm Baumann und dem ersten Frisör mit einem eigenen Ladengeschäft, Albert Wein, erging es ähnlich.

Doch nicht nur Verarmte wurden ausgewiesen, sondern auch Menschen mit „liederlichem Lebenswandel”. So erging es vor dem Ersten Weltkrieg einer Holländerin, die mit einem Dorfbewohner im „Konkubinat” lebte. Der Gemeinderat betrieb die Ausweisung der Frau sehr vehement, denn einmal galt es, in dem streng protestantischen Dorf „Sitte und Moral” wieder herzustellen, und zum anderen war als Hinterlassenschaft ein „Bankert” nicht auszuschließen.

Wie locker man damals mit dem Wort „Ausweisung” umging, zeigt auch ein völlig anderer Vorgang. So wurden im Jahr 1901 die einzigen katholischen Volksschulkinder in Altrip, die im „Weißen Häusl” auf Rheingönheimer Gemarkung wohnten, per Gemeinderatsbeschluss nach Rheingönheim ausgewiesen. Bei allen Ausweisungen gab es in Altrip übrigens keinerlei Bürgerprotest.

(Wolfgang Schneider | Mai 2001)
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