Ein Samstagnachmittag in den 1950ern in Altrip

Das Ehepaar Erna und Karl S. saß, was in letzter Zeit selten vorkam, mit Sohn Erwin (16) und Tochter Elke (17) auch nach dem Mittagessen noch einige Zeit am Küchentisch. Schnell stellte sich heraus, dass dies einen handfesten Grund hatte.

Nach einer bedrückenden Pause sprudelte es aus Erwin geradezu heraus: „Demnächst werde ich Sechzehn und da möchte ich gern ein „Raumo“. (Das war ein steuer- und führerscheinfreies Moped und kamaus Rheingönheim.) „Wenn dann mal etwas dran ist, dann…“ Doch der Vater unterbrach ihn ziemlich wirsch. „Schlag dir das aus dem Kopf! Zu meiner Zeit wäre ich froh gewesen, wenn ich ein gebrauchtes Fahrrad bekommen hätte.“

Ein typisches Wohnzimmer in den 1950er Jahren mit gehobene technischer Ausstattung (Quelle: commons.wikimedia.org)Ein typisches Wohnzimmer in den 1950er Jahren mit gehobene technischer Ausstattung (Quelle: commons.wikimedia.org)

„Aber Karl“, mischte sich nun Mutter Erna ein „wir haben doch noch von Omas Erbschaft noch etwas übrig. Sieh mal, du hast dir den gebrauchten Lloyd gekauft und wir haben uns eine Musiktruhe und eine schöne Einrichtung mit Nierentisch, Cocktailsesseln und Tütenlampen gekauft. Es hat sogar für einen Piccolo (ein Kombigerät, das Küchenmaschine, Staubsauger und Bohner in einzigartiger Weise vereint) gereicht. Warum soll Erwin…“

„Erna, so geht das nicht!“ fiel ihr der Mann ins Wort. „Ich hätte auch gern einen Porsche, oder einen Opel Kapitän oder einen DKWuppdisch (DKW). Doch davon träumt ja unsereiner nur. Und so begnüg’ ich mich eben mit einem „Lloyd-Plastikbomber“ aus Sperrholz und lass mich mit „Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd“ verspotten. Deinem Sohn lässt du ohnehin alles durch. Ständig kauft er die bebilderten Piccolo-Schundhefte (Akim,Sigurd und Nick für 20 Pfennig), und den ganzen Tag kaut er das nach Arznei stickende Kaugummi (gemeint ist Dubble-Bubble-Chewing-Gum) und ich rackere mich in der Kutt (Giulinifabrik in Ludwigshafen) ab, damit wir nicht nur „Muckefuck“ (Kaffeeersatz), sondern echten Bohnenkaffee und auch mal Schokolade kaufen können.“

Unterdessen hatte Tochter Elke am Radio gedreht, wo beim Einschalten erst nach und nach ein türkisgrünes Licht aufleuchtete. Sie drehte an den elfenbeinfarbenen Drehknöpfen, wohl auf Mittel- oder Kurzwelle, denn es quietschte und rauschte ohrenbetäubend. Das Familienoberhaupt drehte sich zu ihr um: „Suchst wohl wieder deine Negermusik?“ Elke gab schnippisch zurück: „Wenn du’s wissen willst: ja! Ich suche auf AFN München Bill Haley. Vielleicht kommt „Rock Around The Clock“. Jetzt bin ich tatsächlich bei Radio Beromünster (deutschsprachiger Sender in der Schweiz) gelandet. Wo liegt das denn überhaupt?“

Karl Schäfer gab kleinlaut zu: „Keine Ahnung!“ „So, aber wann Hitler geboren ist und wann und wo er in der Nase gebohrt hat, das weißt du!“ Der Vater hob den Arm wie zum Schlag. „Werd’ bloß nicht frech…“ Dann wandte er sich an seine Frau. „Das hat sie alles von dir. Du lässt ihr alles durchgehen. Wenn sie einen Petticoat will, damit ihre Beine wie weiß wie hoch zu sehen sind, dann kriegt sie einen und Nylonstrümpfe kauft du ihr auch laufend.“

Erna den Tränen nah: „Aber Karl, nun mach’ mal einen Punkt. Ich bringe die kaputten Nylons meist zur Laufmaschenreparatur-Annahmestelle und ich habe auch schon selbst mit einer Repassiernadel (Maschenfangnadel) versucht zu retten, was zu retten ist. Und dir kaufe ich ja auch laufend Nyltesthemden.“ Die Stimmung wurde immer aufgeheizter und Karl Schäfer geiferte: „Ja, Hemden, in denen ich mich fast zu tot schwitze, nur damit du es mit dem Hemdenwaschen leichter hast. Von den Kunststoffsocken, die nur dem Fußpilz zum Sieg verhelfen, ganz zu schweigen.“

Plötzlich klopfte es an der Tür. Onkel Emil brachte eine Milchkanne voll „Metzelsupp’“ vom Schlachtfest im „Schwanen“. Ohne groß zu fragen setzte er sich in die Küche und meinte: „Ach Kinder, jetzt fängt endlich die gute Zeit für uns an. Jetzt, da wir seit 5. Mai (1955) keine Besatzer mehr haben, sondern souverän sind und Adenauer die letzten Kriegsgefangenen aus Russland heimgeholt hat…“

Mutter Erna bedankte sich für die Metzelsupp’ und mahnte aber Emil: „Bitte nicht wieder so viel politisieren. Wir wissen ja schon alle, dass du vor der Landtagswahl im Mai in Ludwigshafen die Spitzenkandidaten Konrad Adenauer, Thomas Dehler und Erich Ollenhauer gehört hast.“ Onkel Emil winkte ab. „Eigentlich wollte ich euch ja nur Kinokarten für Sonntag schenken. Es läuft gerade „Der letzte Mann“ mit Romy Schneider, Joachim Fuchsberger, Hans Albers und noch ein paar bekannten Schauspielern.“ (In Altrip gab es das Schwanen- und das Pfalz-Lichtspieltheater)

Abrupt stand der Onkel auf. „So, jetzt muss ich aber gehen, denn es ist Samstag und ich habe am Morgen beim Friseur nach dem Haareschneiden noch etwas in Bill Jenkins und Rolf Torrings-Heftchen gelesen und auch „Nick Knatterton“ in der neuesten „Quick“ angesehen. Jetzt ist es aber Zeit ins Gemeindebad zu gehen (war im Maxschulkeller untergebracht) und dann, ja dann kann es Sonntag werden.“

(Eine fiktive Geschichte von Wolfgang Schneider über einen Samstagnachmittag, der sich so oder so ähnlich bestimmt irgendwo in Altrip abgespielt hat. | Foto: commons.wikimedia.org)
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