Bei hohen Temperaturen, wie im Juni, Juli und August, denkt nahezu niemand an Hochwasser. Aber ein Blick in die jüngere deutsche Geschichte zeigt, dass dies eine trügerische Ruhe ist.
So sei nur die Situation 2013 in Erinnerung gerufen. Nach tagelangen Regenfällen hieß es Anfang Juni in weiten Teilen Bayern: Land unter. Es war eine Jahrhundertflut, die sogar rechtzeitig vorhergesagt wurde. Aber aufhalten konnte sie niemand. In acht Bundesländern waren 56 Kommunen betroffen.
Im Osten hatten etliche Betroffene einen gewissen finanziellen Rückhalt durch die Versicherungs-Altverträge aus DDR-Zeiten und Bund und Länder hatten ebenfalls finanzielle Hilfen zugesagt. Altrip und andere Rheinanlieger hatten damals wieder Glück, dass sie verschont blieben. So wie bei der „Jahrhundertflut 2002“ an der Oder. Doch Glück ist bekanntlich nicht beständig. Eigentlich sollte die hochwasserfreie Zeit zur Vorsorge genutzt werden. Oder wenigstens zum Abschluss einer entsprechenden Versicherung, so man eine erhält und finanzieren kann.
Altrip lag bis zur Gebietsreform 1969 als einzige Gemeinde des Landkreises Ludwigshafen am Rhein. Hart am Strom. Und es war die einzige Gemeinde, die eine eigene Wasserwehr hatte, die zu Zeiten, als der Ort nur 2000 Einwohner zählte, über 200 Männer verfügte. Nahezu alle Einwohner wussten um die Gefahren am Wasser und konnten im Katastrophenfall auch entsprechend zupacken.
Es fehlte daher nicht an entsprechendem Material, wie Pechkränzen, Pechfackeln und Pechpfannen, an Stickeln und Faschinen, das waren walzenförmige 3 bis 4 Meter lange Strauchbündel, die aus Draht und Weidenruten zusammengehalten und durch eingelegte Steine beschwert waren oder an Latten, Tüchern und Matten bis hin zu Sturmlaternen.
Doch damit war ein wirksamer Hochwasserschutz nicht zu erreichen. Der Ort wurde daher vom Rhein oft komplett überschwemmt. Versuche, den Hochwasserschutz zu verbessern, gab es zu allen Zeiten. So wurden etwa 1748 die Deiche bei Altrip, Mundenheim und Frankenthal erhöht. In die Kosten teilten sich die Gemeinden, die Begüterten der Umgebung sowie die Allgemeinheit zu je einem Drittel. Aus Gründen der Solidarität stammten somit zwei Drittel als hochwasserfernen Zahlern.
Doch die vielen Überschwemmungen mit nachfolgenden Missernten und entsprechender Teuerung ließ Altrip völlig verarmen. 1757 wurden von der Obrigkeit die rückständigen Hochwasserabgaben angemahnt. Altrip, als die am stärksten gefährdete Gemeinde der Vorderpfalz, organisierte 1760 auf eigene Faust mit Hilfe von Krippen, einem Flechtwerk aus Holz und dichten Ästen, angefüllt mit Steinen oder Erde sowie mit Schöpfrösten, das waren Stauwerke im Rhein aus kreuzweise verbundenen Balken, einen verbesserten Hochwasserschutz. Doch vergebens. Nach Überschwemmungen 1770 und 1771 kam 1778 wieder eine verheerende Totalüberschwemmung.
Der Damm war an zwei Stellen gebrochen. Häuserwände stürzten ein und in den Scheunen verendete das Vieh. Auch das gerettete Vieh kam jämmerlich um, denn die Flut hatte das Futter weggeschwemmt oder verdorben. Und schlimmer noch: Der reißende Strom hatte die Fische aus Teichen und Tümpeln hinweg gerissen, die Altriper somit ihrer Nahrungsquellen entblößt.
Nun beantragten der Schultheiß und das Gericht (entspricht dem heutigen Gemeinderat) die Verlegung des Dorfes. Eine Ansiedlung wäre auf dem rechtsrheinischen Sandbuckel möglich gewesen, zumal das Dorf nur 250 Seelen zählte. Das Oberamt Neustadt wollte aber Altrip nicht aus seiner Zuständigkeit entlassen. Und so erlitten die Altriper die schlimmste Hochwasserkatastrophe im Jahr 1784, in der das ganze Dorf monatelang unbewohnbar war und unter einem Eispanzer lag. Neben einer Vielzahl von Totalüberschwemmungen überstieg das Hochwasser 1824 alle bisherigen Rekordmarken.
1882/83 gab es gar Todesfälle durch Typhus infolge der überschwemmten Jauchegruben, dabei hatten die Altriper nach Beendigung des letzten Rheindurchstiches nach den Plänen von Tulla in ihrem Rheinbogen auf nachhaltige Besserung gehofft.
Nach dem Hochwasser von 1910, das etliche Ortsstraßen wieder unter Wasser setzte, hofften die Bewohner wenigstens auf ein Abfedern der größten materiellen Not. Bisher gab es nur auf Antrag durch den König die Zulassung einer Kollekte (Sammlung) zu Gunsten der Betroffen. Doch die Altriper hofften wiederum vergebens.
Schon 1865 hatte ein Nürnberger Professor eine „Denkschrift betreffend die Errichtung einer Allgemeinen deutschen Hochwasser-Assekuranz-Bank“ verfasst und sich darin darüber mokiert, dass das Versicherungsgewerbe mittlerweile für viele Wechselfälle des Lebens, sei es gegen Feuer, Hagel, Viehseuchen, ja sogar gegen Bruch von Spiegelgläsern und Brillen einen Schutz anbiete, nicht aber für das, was die Menschen ihrer ganzen Lebensgrundlage berauben könne, nämlich gegen Hochwasser.
Es wurden detaillierte Vorschläge unterbreitet, doch die blieben unbeachtet. Am 1. Juni 1911 forderte die in Ludwigshafen erschienene „Pfälzische Rundschau“ nach dem wenige Tage zuvor wieder in vielen Gegenden aufgetretenen Hochwasser endlich eine Hochwasserversicherung, entweder als staatliche Zwangsversicherung oder über die Versicherungswirtschaft, wobei dann allerdings von Seiten des Staates ein Druck zum Abschluss solcher Verträge ausgeübt werden sollte.
Der Rundschau-Redakteur schrieb, was auch heute noch aktuell ist: „Es entspricht nicht mehr dem sozialen Empfinden unserer Zeit, wenn nach jeder Hochwasserkatastrophe die private Wohltätigkeit einspringen muss, um die ärgste Not von den Betroffenen abzuwenden. Zudem pflegen die Gaben nur dann reichlicher zu fließen, wenn das Unglück durch seine Größe als „Sensation“ wirkt. Bei mehr lokalen Überschwemmungen versagt die private Wohltätigkeit häufig ganz, obwohl hier der einzelne nicht minder hart betroffen ist.“
Indes: Es tat sich wiederum nichts. Doch 1912 schöpften die Altriper wieder Hoffnung, denn es gab Bestrebungen einer Expertenkommission aus Deutschland, der Schweiz und Österreich zwecks Einführung einer Hochwasserversicherung. Wiederum zerschlugen sich aber die Hoffnungen, nur die Schweiz führte eine obligatorische Versicherung ein und blieb bis zum heutigen Tage dabei.
Nach dem Hochwasser des Jahres 1926 gingen die Altriper, was öffentliche Hilfen betrifft, wiederum nahezu leer aus. Und wieder schöpften die Altriper Hoffnung auf eine gesetzliche Hochwasser-Versicherung mit erträglichen Beiträgen und Selbstbehalten nachdem in Baden-Württemberg 1960 eine obligatorische Versicherung gegen Hochwasserschäden eingeführt wurde.
Durch die Aufhebung der Versicherungsmonopole 1994 durch die EU wurde diese Regelung jedoch wieder „kassiert“. Doch 80 Prozent der Versicherungsnehmer führten durch eine freiwillige Deckung den Schutz weiter.
Viele Altriper stellen sich die Frage: „Wann kommt eine Flut, wie sie an Elbe, Oder und Donau die Menschen heimsuchte, auch bei uns am Rhein?“ Und alle sind sich einig: „Irgendwann trifft es auch uns!“ Und schädlich finden viele den Ausdruck „Jahrhundertflut“, denn der suggeriert eine zeitlich lange Sicherheit. Wenn es auch keine absolute Sicherheit gegen Hochwasser geben kann, das Gefühl wenigstens materiell, also existenziell abgesichert zu sein, dies wünschen sich aber alle. Und nicht nur die Altriper.