Der fliegende Mensch von Altrip

Eigentlich war er ein tüchtiger Maurermeister, der Altriper Peter Hofacker (1873 bis 1949). Und er hätte ein gemachter Mann werden können, wenn er nicht auch noch hätte fliegen wollen – und zwar so wie ein Vogel.

Schon der Vater und der Großvater von Peter Hofacker waren im Maurerhandwerk. Ebenso einige seiner Brüder. So bauten Philipp, Maximilian und besagter Peter die Brennöfen der Ziegelei Baumann samt der repräsentativen Villa, die nach dem Ersten Weltkrieg schon von Weitem allen aus Ludwigshafen kommenden Besuchern einen schönen Blickfang bot. Die drei Brüder errichteten zudem auch die Essigsprit- und Sauerkrautfabrik von Ludwig Schneider.

Doch Peter Hofacker zog es zu Höherem – im wahrsten Sinne des Wortes. Er war von den Vogelbeobachtungen des Ingenieurs Otto Lilienthals und dessen Gleitflugversuchen so begeistert, dass er ab 1904 mit eigenen Flugmodellen laborierte. Allerdings wusste er, dass sich Lilienthal 1896 bei einem seiner Experimente zu Tode gestürzt hatte. Doch er dachte wohl auch an Dädalus, der in der griechischen Mythologie für sich und seinen Sohn Ikarus Flügel anfertigte, um dem Labyrinth des König Minos zu entrinnen. Ikarus ist ja abgestürzt, weil er zu hoch hinauf wollte. Dädalus jedoch landete glücklich in Sizilien.

Jahrzehntelang bastelte Peter Hofacker an seinen Flugmodellen, erbat sich bei Schreiner Unverrich und bei Wilhelm Engelberger fachlichen Rat und stabiles, aber leichtes Holz. Er wurde als „fliegender Mensch von Altrip” bekannt, über den eine große Mannheimer Tageszeitung selbst im Kriegsjahr 1940 groß berichtete.

Der „fliegende Mensch von Altrip”: Peter HofackerDer „fliegende Mensch von Altrip”: Peter Hofacker

Geflogen aber ist der Altriper Erfinder – insbesondere wegen der schlechten Materialqualität seiner Objekte und der fehlenden Anlaufbahn – nur knapp zehn Meter. Lilienthal hatte 1891 schon 100 Meter geschafft. Peter Hofacker konnte nur vom Rheindeich aus starten und hatte, wie er einmal erwähnte, noch nicht einmal die Anlaufstrecke eines Schwans. In der Tat. Der Deich verlief quer zur Absprungstelle und eine Anlaufstrecke, mit der er sich hätte einen entsprechenden Aufwind verschaffen können, hatte er für seine Gleitflüge nicht.

So meldete Peter Hofacker zwar etliche Patente an, er musste jedoch viel Geld in die Verwirklichung seiner Ideen stecken und vernachlässigte dabei seine Familie. Der Maurermeister verarmte so sehr, dass sein zweigeschossiges Haus versteigert wurde. Seine Frau Berta, die aus einem guten ostpreußischen Hause kam, sprang aus Verzweiflung aus dem Fenster und verletzte sich dabei. So kam es, dass Peter Hofacker letztlich in einer Hütte bei Kerzenschein und Brunnenwasser leben musste und mit der Zeit immer kauziger wurde.

Und solch ein Kauz gibt auch gerne den Sündenbock ab. Als im Dritten Reich bei einer Volksabstimmung eine einzige Nein-Stimme abgegeben wurde, stand für die „Volksgemeinschaft” der Schuldige fest: Peter Hofacker. Am Ehrenmal am Messplatz wurde flugs ein Galgen aufgerichtet, und die Braunen zogen zur Hofacker'schen Heimstatt und nahmen einige Kleidungsstücke von ihm mit, nachdem er selbst nicht zu finden war. Auf dem Messplatz wurde sodann symbolisch eine Strohpuppe verbrannt, die seine Klamotten trug.

Doch Peter Hofacker hatte vorgesorgt und an seinem Stimmzettel eine Ecke abgerissen. Die gemeindlichen Wahlhelfer prüften alle Stimmzettel nach und siehe da, das Eckchen in Hofackers Händen fügte sich nahtlos in die fehlende Ecke einer Ja-Stimme – und Peter Hofacker war rehabilitiert. Unbehelligt konnte er nun seine Modelle weiter entwickeln.

Doch der Altriper war weiter vom Pech verfolgt. Denn im weiteren Kriegsverlauf waren seine Modelle im Anwesen Bismarckstraße 4 untergebracht, das wiederholt von Fliegerbomben getroffen wurde. Alle Objekte gingen dabei verloren. Peter Hofacker gab seinen Traum vom Fliegen aber nicht auf. Er sparte jede (Reichs-)Mark für die Zeit nach dem Krieg. Doch dann kam die Währungsreform. Und wertlos wurden seine in eine Geldbombe eingemauerten Ersparnisse. Er wollte es einfach nicht glauben. Wiederholt machte er sich zu Fuß auf den Weg von Altrip nach Neustadt, um bei den dortigen Regierungsstellen eine Umstellungshilfe zu bekommen. Vergebens.

Peter Hofacker starb schon bald später verbittert aber mit seinem Traum vom Fliegen im Herzen am 24. Mai 1949. In den 1970er Jahren bekamen seine „Abkömmlinge” Besuch von Studenten einer Technischen Hochschule, die seine Patentanmeldungen gesehen hatten und an der Weiterentwicklung, auch und gerade mit neuen Werkstoffen, interessiert waren. Doch die Nachkommen wussten nur noch von den Träumen des Peter Hofackers.

(W. Schneider | 2004)
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